Schuljahr 2024/25

von ursula osterchrist
(Kommentare: 0)
„Frau Zörn, ich rauche immer noch nicht!“ –

25 Jahre Klasse2000 mit Herz und Haltung

Was eher zufällig begann, wurde zu einer Lebensaufgabe – Marina Zörn war 25 Jahre lang  Klasse2000-Gesundheitsförderin in Berliner Grundschulen und blickt zurück.  

Marina Zörn: Na klar. Ich habe ja eigentlich Verlagskauffrau gelernt und vor 25 Jahren habe ich als Tagesmutter gearbeitet. Als eine Sozialarbeiterin, deren Tochter ich betreut habe, wieder mehr in ihrem ursprünglichen Beruf arbeiten konnte, hat sie mich gefragt, ob ich ihre Klasse2000-Stunden übernehmen möchte. So bin ich dann reingerutscht und habe zwei Schulen in Neukölln übernommen. Das war ein Sprung ins kalte Wasser. Vor meiner ersten Stunde habe ich mich mit dem Unterrichtsvorschlag vertraut gemacht, habe die Materialien bekommen und dann die Stunde gehalten. Die Klasse2000-Mitarbeiterin und noch zwei andere Leute saßen hinten im Klassenzimmer, wie bei einer Lehrerprüfung, und ich habe losgelegt. Und erstaunlicherweise waren hinterher alle ganz begeistert und sagten, das sei gewesen, als hätte ich noch nie etwas anderes gemacht. So bin ich da reingerutscht, und dann hat sich das immer mehr etabliert. Ich war ja flexibel und konnte viele Klassen übernehmen. Insgesamt hatte ich in den ganzen Jahren 343 Klassen. Das sind ungefähr 7.500 Kinder, aber natürlich hatte ich nicht alle von der 1. bis zur 4. Klasse.

Marina Zörn: Die Kinder, das kann ich gar nicht anders sagen. Ich fand es immer toll, wenn ich schon lange nicht mehr in einer Klasse war und dann auf dem Schulhof die Fünft- oder Sechstklässler oder Jugendliche in der Pubertät angerannt kamen, so groß wie sie waren, und mir sagten „Frau Zörn, ich rauche immer noch nicht“. Oft haben sie mir Sätze gesagt, die ich eins zu eins so zu ihnen gesagt habe. Oder wenn sie mich der Straße beim Einkaufen getroffen haben, haben sie mich gefragt „Hast du den Klaro dabei? Was macht der denn gerade?“. Das fand ich toll: zu sehen, dass das Ganze Hand und Fuß hat und bei den Kindern etwas bewirkt. Ich habe immer gesagt, wenn ich ein Kind in jeder Klasse damit erreichen kann und es auf einem guten Weg ist – dann lohnt es sich schon. Und am Ende habe ich dann immer gemerkt: „Okay, es waren dann doch ein paar mehr“, und das finde ich schön. Letztens kam sogar auf der Straße ein gestandener junger Mann auf mich zu und sagte „Frau Zörn, Sie haben sich ja gar nicht verändert.“ Er war bestimmt schon mit der Ausbildung fertig. Wenn solche Menschen immer noch Sachen wissen, die man mit ihnen in der 1. oder 2. Klasse besprochen hat, ist das wirklich toll. Und natürlich war es auch eine schöne Bestätigung, wenn die Lehrkräfte gefragt haben, ob sie denn im nächsten Schuljahr wieder auf einen zählen können.

Marina Zörn: Ich möchte jetzt nicht altmodisch klingen, aber vor 25 Jahren war jemand, der vor der Klasse stand, noch eine Respektperson. Das hat sich stark gewandelt. Man merkt deutlich, dass die Schule zunehmend nicht mehr nur einen Lehr-, sondern auch eine Erziehungsauftrag hat. Es gibt immer mehr sogenannte schwierige Kinder. Und das ist hier in Berlin überall so, auch in gut situierten Stadtvierteln. Ich hatte in dieser Hinsicht allerdings keine großen Probleme. Vielleicht liegt das an meiner robusten Art oder daran, dass ich besonders unruhige oder störende Kinder direkt angesprochen und als Helfer eingebunden habe. Ich hatte zum Beispiel ein Kind, das sich schon am Anfang unter den Tisch geschmissen hat, und ich dachte „Wie reagierst du jetzt?“.  Das Kind hatte sogar einen Einzelfallhelfer, der mit ihm rausgehen wollte, aber ich habe gesagt „Nee, lassen Sie mal, wir machen das schon“. Und dann habe ich mir diesen Schüler geschnappt, und das war ab dem Moment mein Helfer, dem ich eine Aufgabe gegeben habe. Er ist wirklich daran gewachsen, und am Ende hat er gefragt „Wann kommst du denn wieder? Morgen?“.  Er hat noch wochenlang davon gesprochen. Das habe ich aus dem Bauch raus wohl richtig gemacht, und natürlich habe ich auch immer Rücksprache mit den Lehrkräften gehalten.

Marina Zörn: Ich erinnere mich noch genau daran, wie es war, als die ersten syrischen Flüchtlingskinder kamen. Da gab es einmal eine eigentlich ganz schreckliche Situation, mit der die Kinder aber ganz toll umgegangen sind, und das hatte auch etwas mit Klasse2000 und unserer Stunde zu tun. In der Klasse war ein syrisches Geschwisterpärchen. Und als am Ende der Stunde draußen im Flur ein Fenster zuknallte, sind beide Kinder sofort unter dem Tisch in Deckung gegangen, zitterten und waren völlig fertig – das war wirklich schlimm. Aber die anderen Kinder haben sofort reagiert, sind zu ihnen unter den Tisch gekrabbelt, haben sie beruhigt und erklärt, dass nur ein Fenster so geknallt hat und dass nichts Schlimmes passiert ist. Der Junge hat sich schnell wieder beruhigt, aber das Mädchen war völlig außer sich. Die anderen Mädchen haben sie in den Arm genommen und getröstet, und dann sind sie zu mir gekommen, um sich meinen KLARO zu holen. Mit dem haben sie die Kleine dann unter dem Tisch rausgeholt und haben mich gefragt, ob sie den KLARO behalten kann, und das durfte sie natürlich. Dann ist einem Mädchen eingefallen, dass sie ja auch noch einen KLARO in der Schule hat, den hat sie dem syrischen Mädchen geschenkt und mir meinen Klaro mit den Worten zurückgegeben: „Frau Zörn, sie brauchen den ja noch“. Das war wirklich eine sehr bewegende Situation, bei der Erinnerung bekomme ich immer noch eine Gänsehaut.
Und dann gab es noch eine andere Situation, die auf ganz andere Art berührend war. Bei der Stunde „Glück und Werbung“ schreiben die Kinder auf gelbe Sonnen, was sie glücklich macht. Ich war total schockiert, als ich auf einer der Sonnen gelesen habe „Ich bin glücklich, wenn mein Vater meine Mutter und mich nicht schlägt.“ Vorher hatte ich diesen Jungen noch ermuntert, etwas zu schreiben, und dann wusste ich schlagartig überhaupt nicht mehr, wie mir geschieht. Vor der ganzen Klasse konnte ich darauf natürlich nicht eingehen, aber nach der Stunde habe ich mit der Lehrerin gesprochen. Dabei stellte sich heraus, dass sie deshalb schon mit dem Jugendamt im Kontakt war. Aber es war natürlich ein riesiger Vertrauensbeweis, dass der Junge das in diesem Moment aufgeschrieben hat, so etwas vergisst man nie.

Marina Zörn: Anerkennung. Aber ich habe einen guten Draht zu einer Schule in der Nähe, da könnte ich z. B. auch als Lese-Oma hingehen.  Es ist einfach schön zu sehen, wie Kinder sich entwickeln, und wenn man daran mitwirken kann, ist das wirklich eine sehr große Freude.

Zurück zur Newsübersicht

Copyright 2025. All Rights Reserved.
Einstellungen gespeichert

Datenschutzeinstellungen

You are using an outdated browser. The website may not be displayed correctly. Close