Schuljahr 2024/25

von Team Grafikbotschaft
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Interview mit Renate Mahle
Kinder gegen Suchtgefahren stärken

– das können Eltern tun

Die Teil-Legalisierung von Cannabis hat zu Diskussionen über Suchtgefahren und Prävention geführt. Viele Eltern fragen sich, was sie tun können, um ihr Kind gegen Gefahren zu schützen – ob Alkohol, Rauchen oder Cannabis. Darüber haben wir mit Renate Mahle gesprochen. Sie ist Sozialpädagogin und Suchttherapeutin bei der Beratungsstelle Sucht und Prävention im Landratsamt Esslingen und bei der bundesweiten Online-Elternberatung Digi-Sucht.

Renate Mahle: Das neue Gesetz regelt den Umgang von Erwachsenen mit Cannabis, für Kinder und Jugendliche war und bleibt es ja nach wie vor verboten. Aber natürlich haben auch bisher Jugendliche Erfahrungen damit gemacht. Das Thema bekommt jetzt große mediale Aufmerksamkeit und viele Eltern überlegen, ob und was sie da tun können. Über dieses Interesse freue ich mich sehr. Es gibt ja viele abhängigkeitserzeugende Stoffe und Verhaltensweisen, mit denen Kinder schon früh in Kontakt kommen. Deswegen kann Suchtprävention in meinen Augen gar nicht früh genug beginnen.

Renate Mahle: Eltern können schon in der frühen Kindheit eine wirklich gute Grundlage schaffen, um Kinder vor Suchtgefahren zu schützen. Das bedeutet natürlich nicht, sie im Sinne von Information und Abschreckung möglichst früh über Drogen aufzuklären. Vielmehr geht es darum, im Familienalltag ganz grundlegende Kompetenzen zu vermitteln: Wie geht man mit Konflikten, unangenehmen Gefühlen und Stress um, wie lernt man, Frustrationen auszuhalten oder zu bewältigen? All das erleben und lernen die Kinder von klein auf im Alltag. Dabei entwickeln sie Kompetenzen und Schutzfaktoren, die sie stärken und ihnen helfen, sich in einer Welt voller leicht verfügbarer Suchtmittel zu orientieren.

Renate Mahle: Das A und O ist das Selbstwertgefühl. Ein Kind mit einem guten Selbstwertgefühl ist gut gefeit gegen Suchtgefahren. Das hilft später auch gegen den sogenannten Gruppenzwang – denn genau genommen zwingt einen ja keiner, Suchtmittel zu nehmen. Der Zwang kommt daher, dass ich zu einer Gruppe gehören möchte und mich nicht traue, Nein zu sagen, weil ich nicht riskieren will, als Weichei oder Angsthase dazustehen und nicht dazuzugehören. Mit einem guten Selbstwertgefühl kann ich in meiner Clique eher sagen „Wenn ihr jetzt kifft, finde ich das nicht gut und bin nicht dabei“.

Renate Mahle: Ganz wichtig ist es, dass Kinder die Erfahrung von Selbstwirksamkeit machen: „Ich kann selbst etwas tun“. Dabei erleben sie, nicht nur hilflose Opfer der Umstände zu sein, sondern selbst aktiv etwas tun zu können, um eine Situation zu ändern, die sie beeinträchtigt oder stört. Das lernen Kinder, indem die Eltern nicht immer sofort Lösungen präsentieren, sondern sie dazu anleiten, selbst Probleme zu lösen, die sie altersangemessen bewältigen können. Frusterlebnisse gehören ja zu jedem Leben dazu, ob man sich durch eine Lehrkraft ungerecht behandelt fühlt oder Streit mit Freunden hat. Wenn ein Kind sich dann eine Lösung überlegt, vielleicht auch mit Unterstützung der Eltern, und erlebt, dass sich durch sein Handeln tatsächlich etwas verbessert, ist das ein enormes Erfolgserlebnis. Wichtig ist auch, dass Kinder viele Möglichkeiten kennenlernen, sich selbst zu helfen, sich wohlzufühlen, sich auszudrücken und angenehme Gefühle zu schaffen. In der Abhängigkeit bleibt mir dafür ja nur noch eine Möglichkeit: das süchtige Verhalten. Ich kann dann nur noch eine einzige Taste drücken, die mir bei Trauer, Langeweile oder Stress hilft. Wenn ich aber ein ganzes Repertoire an Dingen habe, die mir Spaß machen und in denen ich gut bin - ob Sport oder jede andere Form von aktiver Freizeitgestaltung - dann kann ich den Versuchungen durch Suchtmittel etwas entgegensetzen.

 

Renate Mahle: Ja, eine liebevolle Beziehung zum Kind und ein Erziehungsstil, der von Wärme und Liebe geprägt ist und gleichzeitig auch Regeln vorgibt, ist die beste Suchtprävention – das ist Eltern oft gar nicht bewusst. In der Kindheitsphase würde ich nicht vor bestimmten Suchtmitteln warnen, es geht vielmehr darum, Schutzfaktoren aufzubauen, so dass die Kinder weniger anfällig sind für abhängigkeitserzeugende Stoffe oder Verhaltensweisen. Für die Schutzfaktoren können Eltern ganz viel tun. Es ist eben nicht so, dass Kinder ab dem Alter von 13 schwierig werden und Eltern dann nur noch beten und hoffen können, gut durch diese Jahre zu kommen. Irgendwann werden alle Kinder – und manche schon sehr früh – mit Rauchen, Alkohol und Medienkonsum konfrontiert, und da kann man das Risiko für spätere Probleme minimieren.

Renate Mahle: Ein großer Risikofaktor ist die psychische Gesundheit. Zum Beispiel sind Kinder mit ADHS stärker gefährdet, später im Kontakt mit Suchtmitteln etwas zu finden, was ihnen bei der Alltagsbewältigung scheinbar hilft. Da ist es wichtig, das frühzeitig zu sehen und das Kind dabei zu unterstützen, dass es gut dasteht in dieser Welt und hat, was es braucht, um sich wohl zu fühlen. Dazu gehört auch eine Abklärung beim Kinder- oder Facharzt.

Renate Mahle: Als Eltern ist man 24 Stunden am Tag Vorbild. Vieles muss man ja gar nicht in Worte fassen, denn die Kinder schauen es sich ab. Wenn man z. B. selbst raucht, sollte man über die eigene Haltung dazu nachdenken: Wie erkläre ich meinem Kind, dass ich etwas mache, was mir schadet? Dieser Widerspruch ist für viele Eltern der Anlass, das Rauchen aufzugeben oder einzuschränken, gerade wenn die Kinder sagen: „Ach Mama, ich möchte aber nicht, dass du rauchst“. Und beim Alkohol ist es eben auch ein Unterschied, ob man im Rahmen einer Familienfeier mit einem Glas Sekt anstößt oder ob man jeden Tag trinkt. Wenn ich emotional überfordert bin und sage „Jetzt brauche ich erst mal einen Schnaps, das war ja ganz furchtbar“, oder wenn ich abends heimkomme und sage „Ich will nichts hören, ich brauche jetzt erst mal mein Feierabendbier“, dann transportiere ich mit diesem Verhalten schon die Funktion des Suchtmittels. Selbst wer nicht raucht und keinen Alkohol trinkt, nutzt Medien und hat ein Smartphone, und auch da stellen sich Fragen: Lasse ich mich ständig ablenken und bin eigentlich gar nicht da, wo ich jetzt gerade bin? Ist das mein Mittel gegen Langeweile? Ist das mein Tröster, wenn ich frustriert oder traurig bin? Diese Funktionen schauen sich die Kinder ab. Da könnten Eltern sich selbst überprüfen: Tut mir mein eigenes Verhalten noch gut und was lebe ich da eigentlich vor? Suchtprävention bringt einen immer mit sich selbst und dem eigenen Verhalten in Kontakt, um diese Auseinandersetzung kommt man nicht herum. Es kann ja auch sehr spannend sein, sich damit zu beschäftigen und etwas zu verändern, was einem guttut.

Renate Mahle: Es gibt auf keinen Fall ein Sprechverbot über Sucht. Aber ich würde anlassbezogen darüber reden anstatt aus dem Nichts heraus einen Vortrag halten, nach dem Motto „Wusstest du schon, dass es das gibt?“. Man sollte keine Neugier und Interesse wecken, wo noch keines ist. Im Alltag bieten sich ja immer wieder Situationen. Wenn z. B. bei einer Familienfeier Alkohol getrunken wird und das Kind probieren möchte, muss ich ja erklären, dass das nur für Erwachsene ist und für Kinder gefährlich werden kann. Oder wenn das Kind erzählt, dass es den Freund des Bruders beim Rauchen gesehen hat, kann man erklären, wie man selber dazu steht, warum das schädlich ist, insbesondere für Kinder. Das sind ideale Anlässe, und da sollte man bei dem bleiben, was die Kinder sehen und erzählen.

Renate Mahle: Man sollte sich Zeit nehmen für ein ruhiges Gespräch und versuchen herauszufinden, was eigentlich los ist. Dabei ist ein gutes Vertrauensverhältnis eine super Grundlage – gerade wenn das Kind älter wird und im Freundeskreis tatsächlich Alkohol, Tabak oder vielleicht auch Cannabis konsumiert werden. Darauf kann man spezifisch eingehen und z. B. erklären, dass Cannabis bei Jugendlichen die Gehirnentwicklung beeinträchtigt und man beim Probieren möglichst schon 25 Jahre alt sein sollte, damit das Gehirn wirklich auch ausgereift ist. Wenn ich sachlich informiere, nimmt das Kind mich ernster als wenn ich den Konsum nur sehr emotional und ohne fundierte Argumente abwehre. Panikmache und Abschreckung ohne Wissen führen nicht zum Erfolg, sondern eher dazu, dass man nicht mehr ernst genommen wird und das Kind sich denkt „Da habe ich aber was Anderes gehört, Mama und Papa kennen sich mit dem Thema nicht aus“. Insofern ist es gut, wenn Eltern sich aus soliden Quellen informieren und ein gewisses Grundwissen haben – das schützt vor sehr emotionalen Reaktionen, die eher negativ als hilfreich wirken.

Suchtprävention mit Klasse2000

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Kinder stärken

Eine gute und vertrauensvolle Beziehung zum Kind aufbauen – das möchten alle Eltern. Wie das im anstrengenden Alltag (noch besser) gelingen kann, vermitteln Elternkurse. Hier können Eltern mit professioneller Begleitung ihre Erziehungsvorstellungen und ihr Kommunikationsverhalten überprüfen und sich in ihrer Elternrolle weiterentwickeln. Es gibt viele verschiedene Elternkurse. Eine gute Adresse ist sicherlich der Kinderschutzbund, der seit vielen Jahren das Programm „Starke Eltern – starke Kinder“ anbietet. Viele regionale Familienberatungsstellen haben ebenfalls Elternangebote.

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Digitale Elternberatung zum Thema Sucht

ELSA ist eine digitale Elternberatung bei Suchtgefährdung und Abhängigkeit von Kindern und Jugendlichen. Hier können Eltern sich anonym, online kostenfrei und professionell beraten lassen – per E-Mail, Text- oder Videochat. Erfahrene Berater:innen führen die Beratung durch und vermitteln ggf. auch weiterführende Kontakte vor Ort.

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